Am 15.6. ist unser langjähriger Freund Bernhard Marsch in Köln tödlich verunglückt. Nur zwei Wochen vorher war er im Kino im Sprengel zu Gast gewesen und hatte uns mit 35mm-Raritäten aus seiner umfangreichen Filmsammlung und mit einer Kiste Kölsch im Gepäck beglückt.
Auf critic.de hat Lukas Foerster einen wunderbaren Nachruf auf Bernhard geschrieben und er hat es uns gestattet, diesen hier nicht nur zu verlinken, sondern in voller Länge zu posten. Vielen Dank dafür, Lukas Foerster.
"Freibeuter des Kinos
Mit der Sackkarre durch die Republik: Sein Leben lang war Bernhard Marsch der fröhliche Bote einer alternativen Filmgeschichte. Am Sonntag ist der Regisseur und Mitbegründer des Kölner Filmclub 813 gestorben. Ein Nachruf.
Halleluja heißt ein Film Bernhard Marschs, den der Kölner Filmclub 813 letzte Woche zeigte. Der Regisseur übernimmt auch die Hauptrolle und spielt in dem sonnigen, spritzigen Zehnminüter einen Autofahrer, der ein windiges Hare-Krishna-Pärchen in seiner kaum noch TÜV-tauglichen Karre mitnimmt. Die Tramper haben es, merkt man schnell, auf den Wagen abgesehen, hinter ihrem bekifften Dauerlächeln lauert kalte Kalkulation. Aber sie haben die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Bernhard, der sich in Halleluja als schlitzäugiger Pirat der Landstraßen inszenierte, ist vorgestern bei einem Verkehrsunfall in der Kölner Südstadt verstorben. Was die Welt alles an ihm verloren hat, werden andere, die ihn länger und besser kennen, als ich ihn gekannt habe, die vor allem mehr wissen von seinem Leben außerhalb des Kinos, eher beurteilen können. Fest steht jedenfalls: Bernhard gehört zu den Menschen, die man nicht mehr vergisst, auch wenn man ihnen nur einmal im Leben begegnet ist; zum Beispiel auf einer seiner vielen Reisen durch die Kinos und Festivals der Republik, oft zwei, drei eigene Filmkopien mit der Sackkarre vor sich her schiebend. Das kann, vielleicht, den Schock und die Trauer über diesen zu frühen Tod ein wenig lindern: Bernhard ist tot, aber sicher nicht vom Winde verweht.
Großzügig und herzlich und stur wie nur was Für mich und sicher nicht nur für mich ist Bernhard auf immer mit dem Filmclub 813 verbunden. Hier traf man ihn viele Jahre lang Abend für Abend, mehrere Tage pro Woche, vor den Filmen hinter der Kasse sitzend, mal mehr mal weniger Gäste begrüßend für ein Programm, das auch in der Offkinoszene, oder was noch von ihr übrig ist, seinesgleichen sucht; nicht zuletzt, weil die Filme nach wie vor fast ausschließlich analog projiziert werden. Handverlesene Filme für ein handverlesenes Publikum laufen im Filmclub – der gleichzeitig ganz und gar nichts Elitäres an sich hat. Im nach viel Geld und Hochkulturrenomee riechenden Kölner Kunstverein, in dessen schön designten, luftigen Kinosaal er eingemietet ist, fühlt sich der Filmclub, ein Liebhaberprojekt von Ehrenamtlichen, an wie ein Fremdkörper. Diese beiden so unterschiedlichen Institutionen an einem Ort, das kann nicht funktionieren, würde man meinen; und es hat, wie zahlreiche Prozesse, die der Kunstverein über die Jahre gegen den Filmclub geführt hat, zeigen, auch tatsächlich oft genug nicht funktioniert. Bernhard, der großzügig und herzlich sein konnte aber auch stur wie nur was, war das egal. Zum Glück. Bernhard ist 63 Jahre alt geworden und er hat sich zeitlebens, auch das ist hoffentlich ein Trost für die Übriggebliebenen, mit Dingen beschäftigt, die er liebt. Seitdem er sich in den 1980er Jahren, nach einem abgebrochenen Studium der Volkswirtschaft, dem Kino zuwandte, hieß das vor allem: Bernhard hat Filme gezeigt, gesammelt und gedreht. Sie hätten ihr Leben dem Kino verschrieben, sagt man gelegentlich über Leute wie ihn. Aber das ist viel zu einseitig formuliert. Das Kino und Bernhard haben sich gegenseitig gefunden; und sie haben es, alles in allem, ausgezeichnet miteinander ausgehalten.
Undogmatischer Eigensinn In den 1980ern und 1990ern führte Bernhard bei einer Reihe von Kurzfilmen Regie, als Teil – und man darf wohl sagen: Energiezentrum – der Kölner Gruppe, eines Zusammenhangs befreundeter Regisseure. Bernhards Filme sind luftige, einfallsreiche, generöse Komödienminiaturen, entstanden weit außerhalb aller kommerziellen Auswertungsoptionen und auch höchstens ganz am Rand des Sichtbarkeitsfeldes des Festivalbetriebs; nicht wenige davon – neben Halleluja (1995) zum Beispiel Junge Hunde (1993) oder 8 Essen III (1996, gemeinsam inszeniert mit Rainer Knepperges, Markus Mischkowski und Thomas Hermel) – sind kleine Meisterwerke, Meilensteine einer noch zu schreibenden alternativen deutschen Filmgeschichte des undogmatischen Eigensinns. Dass er, anders als einige Kölner-Gruppe-Kollegen, keinen Langfilm realisiert hat, mag man bedauern; andererseits geriet Bernhard so auch gar nicht erst in Versuchung, sein eigenes Verhältnis zum Kino den Maßgaben des Betriebs anzupassen. Das Hobby zum Beruf zu machen, ohne sich in den Fallstricken der Professionalisierung, der Welt des Networking und der Förderanträge, zu verfangen: das gelingt nicht vielen. Als Kinomacher, Kinogänger und Filmsammler gehörte Bernhards Herz den Außenseitern und Querschlägern vor allem des deutschen und europäischen Kinos der 1960er und 1970er Jahre. Filmen, denen es im Korsett der klassischen Form zu eng geworden war, die aber auch keine Anstalten machten, sich die neuen, jetzt eher intellektuellen und moralischen Korsette des Autorenkinos anzulegen. Filme von Leuten wie Klaus Lemke, May Spils und Werner Enke, Roger Fritz, auch sie alle, wie Bernhard selbst, Freibeuter des Kinos. Die Filme Marran Gosovs, eines bulgarischen Filmemachers, der in den 1960ern in München aufschlug und eine ganze Reihe verschmitzt-freizügiger Lustspiele verantwortete, hat Bernhard regelrecht adoptiert und in zahlreichen Off-Kino-Vorführungen vor dem Vergessen bewahrt.
Was es nun zu bewahren gilt Filme von Lemke, Gosov und Spils, aber auch viele, viele andere bilden das von Bernhard über die Jahre zusammengetragene, über diverse Kölner Keller und Lagerräume verteilte Ramsch-Archiv, eine Schatztruhe an Filmen, für die sich die sogenannten Filmerbe-Institutionen auch in 30 Jahren nicht interessieren werden. Das Ramsch-Archiv gilt es nun zu bewahren. Genauso wie, jetzt erst recht, den Filmclub 813, ohne den die Kinoszene Kölns keinen Pfifferling wert wäre. Zumindest nicht für Leute, die vom Kino mehr erwarten als das, was sie ohnehin schon kennen. Als die Nachricht von Bernhards Tod die Mitglieder und Stammgäste des Filmclubs erreichte, lief dort gerade Christian Hohoffs Spiel der Verlierer aus dem Jahr 1978, ein eigenartiges, klaustrophobisches Melodram aus dem Fassbinder-Umfeld, produziert von RWF selbst. Zu den größten unter den vielen Entdeckungen, die man jahraus jahrein im Filmclub 813 machen kann, zählt dieser Film nicht unbedingt. Aber es gibt eine großartige Szene, in der sich Margit Carstensen, von Eifersucht zerfressen, in einer Orange verkrallt. Dass es sich allein für diesen Moment lohnt, einen Film, der aus der Filmgeschichte herausgefallen ist und der in den letzten paar Jahrzehnten bestenfalls ein, zwei Kinovorführungen erlebt haben dürfte, wieder auszugraben: Wo sonst als im Filmclub 813 könnte man diese Erfahrung machen? Rest in peace, Bernhard." Lukas Foerster, 17.6.2025
Und dieses Foto von Bernhard hat das Filmkollektiv Frankfurt an den Kreis der Kinoinitiativen geschickt, zu dem auch der Filmclub 813 gehörte. Besser gesagt, Bernhard hatte diesen Kreis 2011 ins Leben gerufen.
Prost Bernhard!