Jan Peters und seine Tagebuchfilme
Die halb inszenierten, halb improvisierten, meist dreiminütigen Sequenzen, aus denen Jan Peters viele seiner Filme entstehen lässt, sind immer wieder ein Feuerwerk von Überraschungen. Die 3-Minuten-Länge verdankt sich übrigens nicht einfach einer Laune oder der Willkür des Filmemachers, sie hat einen ganz praktischen und also auch ökonomischen Hintergrund: den der Konfektionierung des analogen Filmmaterials - seien es die 15-Meter-Kassetten des Super-8-Films, seien es die 30-Meter-Rollen beim 16mm-Film. Beide ergeben jeweils ca. drei Minuten Film und beide Formate verwendet und vermischt Jan Peters, dabei auch zwischen Farbe und Schwarzweiß hin- und herwechselnd, wie es gerade kommt oder von ihm gewünscht ist. Begründen lässt die Entscheidung sich immer. Selbst die Behauptung eines Irrtums taugt.
Da Jan auch ein guter Rechner ist (hat er das von Werner Nekes geerbt? [siehe Fußnote 1]), konnte er sich ausrechnen, dass er für einen sogenannten abendfüllenden, neunzig Minuten langen Film dreissig 3-Minuten-Rollen benötigt, also so viele, wie der durchschnittliche Monat Tage hat. Heureka! Diese Erkenntnis bestimmte schon bei "November, 1-30" (1997) und bei "Dezember, 1-31" (1998) die Dramaturgie, die die des Tagebuchs ist. Apropos Buch: Bei den Buchkalendern, wie Jan sie gerne benutzt, um seine Tage zu strukturieren, gilt im Prinzip dasselbe: Ein Tag, eine Seite. Die muss einerseits leidlich gefüllt werden (wie sieht das denn sonst aus?), aber sie gibt auch das Quantum vor, das nicht überschritten werden darf.
[So stelle ich mir das Filmen vor: 1) Was soll ich filmen? Eine Idee aus dem Ärmel schütteln. 2) Wie krieg' ich das auf drei Minuten? Alles gut planen und dann auf den Punkt bringen.]
Nun verändert natürlich die Absicht, die eigenen Tage zu verfilmen, eben diese Tage, in ähnlicher Weise, wie die Wissenschaft seit langem weiß, dass jede Messung das zu messende Objekt verändert. Gott sei Dank, kann man da fast sagen, denn das Filmen steigert das Leben (und sei es auch mutwillig) zu höherer Dichte (Kunst der Verdichtung, bekannt vom Otto-Motor) und zu höherem (Zeit-)Druck: Immer naht das Ende, eigentlich ist immer Eile geboten. Deswegen muss Jan vor allem schnell reden können, um wenigstens einen Teil dessen loszuwerden, was er mitteilen möchte. Schon Fellini hat seinerzeit lapidar festgestellt: "Wenn das Geld ausgegangen ist [also zum Beispiel kein Filmmaterial mehr da ist], dann ist der Film zu Ende" [siehe Fußnote 2], und so enden auch Jan Peters' Geschichten so, wie das Material es diktiert, oft mitten im Satz, oder - was seltener vorkommt - er muss - und wir mit ihm - auf das Ende der Rolle warten (was mich wiederum an Boris Lehman denken lässt [siehe Fußnote 3] ). Wie bei einem gut portionierten Menü, bei dem der einzelne Gang einen nicht abfüllt, sondern schon auf den nächsten vorbereitet und neugierig macht - der Vergleich ist jetzt etwas mutwillig -, kriegt man auch bei Jan keinen vollen Magen (um nicht zu sagen: "die Schnauze nicht voll"), sondern immer Lust auf noch ein Kapitelchen.
Das ist immer spannend, denn man weiß nie, was kommt und wohin die Reise geht, und auch, weil man Jan im Grunde dabei zuschaut, wie er die Kapitelchen und damit seine Geschichte(n) verfertigt; er ist meist sein eigener Protagonist, mehr vor als hinter der Kamera (die zur Not auch alleine weiterläuft, s.o.) - oder kommt dieser Eindruck von seiner durchgehenden stimmlichen Präsenz? Aber natürlich muss im Nachgang (Postproduktion) einiges nachjustiert werden und Jan ist in dieser Hinsicht mit allen Wassern gewaschen.
A propos Waschen – der letzte Schritt vor dem Trocknen, auch bei der Filmentwicklung: Das Entwickeln der Filme übernimmt Jan Peters ebenfalls selbst, auch dabei gerne experimentierend: etwa mit Kaffee statt mit herkömmlicher Fotochemie, im Eimer statt im Entwicklungstank. Dies, und das nur selten fabrikneue Filmmaterial, ergeben die bekannten Farbverschiebungen und Schlieren, die Verklebungen und Auflösungen, Kratzer und das grobe Korn, das Aufflackern des Bildes aus dem Weiß, alles Spuren und eindeutige Zeichen der Handarbeit und des "analogen" (wie es jetzt so bescheuert heißt) Filmmaterials. Das vermittelt einem das wohltuende Gefühl, der Konkurrenz der hochauflösenden Kameras und dem Zwang zum Digitalen und der glattgebügelten Realität zu entkommen, um sich stattdessen ganz bewusst ins Licht führen zu lassen, nämlich in die Welt der Lichtbildnerei.
Alles Weitere sind Anekdoten und Behauptungen, und die beherrscht Jan auch ganz gut. Er ist Geschichtenerzähler. Das Erzählen erzeugt seine eigenen Wahrheiten und auch hier sind wir befreit vom bitteren Ernst des Dokumentarischen und vom Zeigefinger des Moralischen.
Alles in allem finde ich also nichts auszusetzen, und obwohl ich "Eigentlich eigentlich Januar" noch gar nicht gesehen habe, weiß ich jetzt schon, dass ich es nicht bereuen werde.
Noch bevor er die Serie der Monats-Filme begann – der Januar ist sein dritter, denn sein Jahr fängt im November an – kam Jan Peters bereits auf die Serie der Geburtstagsfilme. Anlass war ein Kamera- und Tontests an seinem 24. Geburtstag: Eine 3-Minuten-Super-8-Kassette, geopfert für eine Lebensbilanz ("Ich bin 24", 1990), und seitdem jährlich immer wieder drei Minuten, und sofern ich das richtig erinnere, (fast) immer in einer Einstellung ohne Punkt und Komma. Aber auch das hatte, jedenfalls am Anfang, einen technischen Grund: Der von Kodak bereits mit Magnettonspur versehene Super-8-Film, mit dem Jan seinen Kameratest durchführte, lässt sich, nimmt man beim Filmen den Ton darauf auf, wegen des Ton-Bild-Versatzes nicht mehr sinnvoll schneiden. Und daraus entstand ein Stil. Denn die Geburtstagsfilmübung hat Jan konsequent über dreißig Jahre durchgehalten. 2019 schließlich erblickte ein aus 30 Jahren Geburtstag bestehender abendfüllender 90-Minuten-Film (als digitalisierte Kompilation) das Licht der Leinwände: "30 Jahre, aber den Sinn des Lebens habe ich immer noch nicht herausgefunden", heißt er. In Hannover war er noch nicht zu sehen.
Peter Hoffmann
(anlässlich der Aufführung von Jan Peters' neuem Film "Eigentlich eigentlich Januar" im Kino im Sprengel am Freitag, den 13. dieses Monats - natürlich Januar)
-
Fußnote 1 : Werner Nekes errechnete für seinen Film "Bogen" (eine Endlosschleife von 1 Minute Länge, von 1967) - eine Beziehung herstellend zwischen den 24 Stunden eines Tages und den 24 Bildern einer Filmsekunde:
1 Tag = 24 Stunden à 60 Min. = 1.440 Minuten; 1 Filmsekunde = 24 Bilder; 1 Filmminute = 1.440 Bilder. Er nahm pro Minute ein Bildkader auf und das ergab in 24 Stunden genau eine Minute Film.
Fußnote 2 : Gern zitiert von Jean-Luc Godard, und u.a. auch von Gilles Deleuzes in seinem Buch "Das Zeit-Bild" (1996).
Fußnote 3 : Zu Beginn seines 6-Stunden-Films "Babel" (B, 1991) steht Boris Lehman vor der Kamera, erklärt sein Vorhaben und geht dann aus dem Bild, damit die Kamera ungestört filmen und mit dem begonnenen Film vertraut werden kann. Die Filmrolle darf in der Kamera bis zum Ende durchlaufen, auch wenn Boris Lehman nichts mehr zu sagen hat. (Und plötzlich kommen andere Leute ins Bild und schauen ins Objektiv, als wäre darin etwas versteckt.)