Geschichte der Audiodeskription

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Nicht sehen und trotzdem ins Kino gehen?

Für unsere Kinoveranstaltung am 23. April 2023 (siehe Plakat), hat Stefan Rahlfs die sprachliche Begleitung der Filme durch eine Beschreibung der Bildinhalte (Audiodeskription) vorbereitet und auch das Live-Einsprechen übernommen.

Im Vorfeld hat er sich mit der Geschichte der Audiodeskription beschäftigt und eine kurze Darstellung der historischen Entwicklung dieses Hilfsangebots für blinde und sehbehinderte Menschen verfasst, die wir hier als pdf-Dokument anfügen.

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Offener Brief an die Kulturdezernentin der Landeshauptstadt Hannover

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Stellungnahme zur Stellenausschreibung "Leitung Kommunales Kino im Künstlerhaus" vom 31.3.2023

Sehr geehrte Frau Beckedorf,

vom Kulturbüro wurden wir gebeten, die Stellenausschreibung für eine neue Leitung des Kinos im Künstlerhaus in unseren Netzwerken zu verbreiten.

Wir möchten diese Ausschreibung, die im Übrigen jetzt ausläuft, nicht verbreiten. Zum einen erscheint sie uns von ihren Anforderungen her niemandem zumutbar, zum anderen scheint sie darauf angelegt, einem anspruchsvollen Filmprogramm im Kino im Künstlerhaus den Garaus zu machen. Die in der Ausschreibung angekündigte Neuausrichtung des Kommunalen Kinos empfinden wir als Bedrohung für die Filmkultur in Hannover.

1) Kinokultur

Wir sehen in dieser Stellenausschreibung einen Versuch, das Kommunale Kino als Ort der Filmkultur in Frage zu stellen und es in einen Ort "niederschwelliger" Angebote, das heißt vermutlich anspruchsloser Unterhaltung zu verwandeln.

Es fällt bei Lektüre der Ausschreibung sofort auf, dass das Kino als eigenständige Institution erst im zweiten Absatz der Orts- und Stellenbeschreibung genannt wird. Stattdessen wird an erster Stelle hervorgehoben, über welch attraktive Veranstaltungsräume das Künstlerhaus verfügt. Diese Räume sollen von der neuen Kinoleitung irgendwie bespielt werden. Das Kino und damit das Filmprogramm selbst scheint in dieser Stellenausschreibung lediglich von zweitrangiger Bedeutung. Das macht uns stutzig.

Weiter fällt auf, dass in der Beschreibung dessen, was das Kommunale Kino bisher leistet, an erster Stelle die Kinder- und Jugendarbeit genannt wird. Dies ist eine erstaunliche Sicht auf das Programm des Kinos im Künstlerhaus/des Kommunalen Kinos, das vor allem in seiner Frühzeit in den 1970er Jahren zu einem der wichtigsten Aufführungsorte für experimentelle und avantgardistische Filmkunst in der Bundesrepublik zählte. Und von dem gleichzeitig die Filmgeschichte immer in den Blick genommen wurde. Der "Kinofuchs" soll jetzt offenbar zum kulturellen Aushängeschild des Kommunalen Kinos erklärt werden.

An zweiter Stelle werden die Kooperationen genannt. Damit wird, auch wenn dies nicht ausgesprochen wird, eine Ausrichtung des Kinos auf Außerfilmisches nahegelegt. Denn bei Kooperationen geht es meist um eine jeweilige inhaltliche Thematik. Film wird dabei leicht zum künstlerisch verpackten Meinungsmedium und zum Mittel nivellierender Soziokultur. Das hat mit Filmkunst nichts zu tun. Von Kunst ist bezeichnenderweise in dieser Stellenausschreibung auch an keiner Stelle die Rede. Film/Kino als eigenständige Kunst und Wahrnehmungsform wird hier verleugnet. So bleibt auch die Filmgeschichte, die seit ihren Anfängen ein wesentlicher Schwerpunkt der Kommunalen Kinos ist, unerwähnt.

Geradezu alarmierend erscheint uns der fettgedruckte Hinweis auf einen anstehenden Transformationsprozess, der nicht weiter beschrieben und begründet wird. Soll in der verzerrten Beschreibung des Ist-Zustandes die intendierte Transformation bereits vorweggenommen werden? Offenbar soll das Kino als eigenständiger kultureller Raum beschnitten werden, um in ein ominöses Gesamtgefüge Künstlerhaus beziehungsweise Kulturdreieck "eingebettet" zu werden.

Uns scheint, dass diejenigen, die diese Stellenausschreibung formuliert und gegen die Einwände des derzeitigen Kinoleiters Ralf Knobloch-Ziegan durchgesetzt haben, wenig Kenntnis und kein gesteigertes Interesse an Kinokultur haben. Von einer Stadt, die sich erst vor kurzem als Kulturhauptstadt profilieren wollte, wäre eigentlich Anderes zu erwarten.

2) Arbeitsumfang

Die Stellenbeschreibung stellt – unabhängig von der oben formulierten Kritik – Anforderungen, die unseres Erachtens von einer einzigen Person nicht zu erfüllen sind, Anforderungen, die die Kräfte und Möglichkeiten einer Person bei weitem überschreiten.

Wie kann erwartet werden, dass eine Person ein Kinoprogramm auf die Beine stellt und gleichzeitig Events im ganzen Haus und Kooperationen in alle Richtungen organisiert? Zumal wir aus Erfahrung wissen, dass Kooperationen nicht weniger, sondern mehr Arbeit machen als die autonome Erarbeitung eines anspruchsvollen Programms.

Desweiteren soll die neue Kinoleitung Festivals von überregionaler Bedeutung aus dem Hut zaubern. Welcher Superman oder welche Wonderwoman schweben der Kulturbehörde vor?

Der neuen Kinoleitung wird, wie es heißt, großer Gestaltungsspielraum geboten. Dem stehen aber ganz offensichtlich finanzielle Einschränkungen gegenüber. Dies wird anhand der geforderten Drittmittelakquise ersichtlich, dem Aufbau von Geschäftskontakten und der Zusammenarbeit mit Wirtschaftsunternehmen, privaten Geldgebern etc.

Hier scheint uns – abgesehen von einer Überforderung der Kinoleitung – auch die Freiheit der Programmgestaltung in Frage gestellt. Einer anspruchsvollen Programmleitung sollte in erster Linie Unabhängigkeit zugestanden werden. Womit keinem autoritären Führungsstil das Wort geredet werden soll.

In der Stellenbeschreibung ist zwar von einem Team die Rede, es wird aber nicht gesagt, wie viele Personen dieses Team umfasst und welche Tätigkeiten von ihm übernommen werden. Auch dieses Team wird vermutlich durch die Anforderungen an seine Leitung überfordert werden.

3) Bewerbungsfrist

Sehr überrascht sind wir von der Tatsache, dass die Stelle der Kinoleitung erst jetzt ausgeschrieben wurde, wo doch schon lange bekannt sein dürfte, dass Ralf Knobloch-Ziegan Ende dieses Monats in den Ruhestand geht. Und eine Bewerbungsfrist von nicht einmal drei Wochen, ausgerechnet in der Zeit der Osterferien, lässt uns stark an einem gut durchdachten Verfahren zweifeln.

Fazit

Wir sprechen an dieser Stelle dem scheidenden Leiter des Kommunalen Kinos, Ralf Knobloch-Ziegan, unsere Anerkennung für die geleistete Arbeit aus. Die Schwierigkeiten, mit denen er zu kämpfen hatte, vor allem der Besucherrückgang, sind gesamtgesellschaftlicher Art: Digitalisierung, Auflösung der Öffentlichkeit im realen Raum, Tendenz zu einem ahistorischem Gesellschaftsverständnis...

Als Kino im Sprengel betrachten wir uns weder als Konkurrenz noch als möglichen Ausgleich für ein geschwächtes Kommunales Kino. Wir sehen daher die Kino-Politik des Kulturbüros mit Besorgnis.

Wir plädieren für eine Neuausschreibung der Stelle mit angemessenem Profil.

Das Kollektiv des Kino im Sprengel 17.4.2023

Hier zur Stellenausschreibung der Stadt Hannover vom 31.3.2023

Der analoge Rechner

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Jan Peters und seine Tagebuchfilme

Die halb inszenierten, halb improvisierten, meist dreiminütigen Sequenzen, aus denen Jan Peters viele seiner Filme entstehen lässt, sind immer wieder ein Feuerwerk von Überraschungen. Die 3-Minuten-Länge verdankt sich übrigens nicht einfach einer Laune oder der Willkür des Filmemachers, sie hat einen ganz praktischen und also auch ökonomischen Hintergrund: den der Konfektionierung des analogen Filmmaterials - seien es die 15-Meter-Kassetten des Super-8-Films, seien es die 30-Meter-Rollen beim 16mm-Film. Beide ergeben jeweils ca. drei Minuten Film und beide Formate verwendet und vermischt Jan Peters, dabei auch zwischen Farbe und Schwarzweiß hin- und herwechselnd, wie es gerade kommt oder von ihm gewünscht ist. Begründen lässt die Entscheidung sich immer. Selbst die Behauptung eines Irrtums taugt.

Da Jan auch ein guter Rechner ist (hat er das von Werner Nekes geerbt? [siehe Fußnote 1]), konnte er sich ausrechnen, dass er für einen sogenannten abendfüllenden, neunzig Minuten langen Film dreissig 3-Minuten-Rollen benötigt, also so viele, wie der durchschnittliche Monat Tage hat. Heureka! Diese Erkenntnis bestimmte schon bei "November, 1-30" (1997) und bei "Dezember, 1-31" (1998) die Dramaturgie, die die des Tagebuchs ist. Apropos Buch: Bei den Buchkalendern, wie Jan sie gerne benutzt, um seine Tage zu strukturieren, gilt im Prinzip dasselbe: Ein Tag, eine Seite. Die muss einerseits leidlich gefüllt werden (wie sieht das denn sonst aus?), aber sie gibt auch das Quantum vor, das nicht überschritten werden darf.

[So stelle ich mir das Filmen vor: 1) Was soll ich filmen? Eine Idee aus dem Ärmel schütteln. 2) Wie krieg' ich das auf drei Minuten? Alles gut planen und dann auf den Punkt bringen.]

Nun verändert natürlich die Absicht, die eigenen Tage zu verfilmen, eben diese Tage, in ähnlicher Weise, wie die Wissenschaft seit langem weiß, dass jede Messung das zu messende Objekt verändert. Gott sei Dank, kann man da fast sagen, denn das Filmen steigert das Leben (und sei es auch mutwillig) zu höherer Dichte (Kunst der Verdichtung, bekannt vom Otto-Motor) und zu höherem (Zeit-)Druck: Immer naht das Ende, eigentlich ist immer Eile geboten. Deswegen muss Jan vor allem schnell reden können, um wenigstens einen Teil dessen loszuwerden, was er mitteilen möchte. Schon Fellini hat seinerzeit lapidar festgestellt: "Wenn das Geld ausgegangen ist [also zum Beispiel kein Filmmaterial mehr da ist], dann ist der Film zu Ende" [siehe Fußnote 2], und so enden auch Jan Peters' Geschichten so, wie das Material es diktiert, oft mitten im Satz, oder - was seltener vorkommt - er muss - und wir mit ihm - auf das Ende der Rolle warten (was mich wiederum an Boris Lehman denken lässt [siehe Fußnote 3] ). Wie bei einem gut portionierten Menü, bei dem der einzelne Gang einen nicht abfüllt, sondern schon auf den nächsten vorbereitet und neugierig macht - der Vergleich ist jetzt etwas mutwillig -, kriegt man auch bei Jan keinen vollen Magen (um nicht zu sagen: "die Schnauze nicht voll"), sondern immer Lust auf noch ein Kapitelchen.

Das ist immer spannend, denn man weiß nie, was kommt und wohin die Reise geht, und auch, weil man Jan im Grunde dabei zuschaut, wie er die Kapitelchen und damit seine Geschichte(n) verfertigt; er ist meist sein eigener Protagonist, mehr vor als hinter der Kamera (die zur Not auch alleine weiterläuft, s.o.) - oder kommt dieser Eindruck von seiner durchgehenden stimmlichen Präsenz? Aber natürlich muss im Nachgang (Postproduktion) einiges nachjustiert werden und Jan ist in dieser Hinsicht mit allen Wassern gewaschen.

A propos Waschen – der letzte Schritt vor dem Trocknen, auch bei der Filmentwicklung: Das Entwickeln der Filme übernimmt Jan Peters ebenfalls selbst, auch dabei gerne experimentierend: etwa mit Kaffee statt mit herkömmlicher Fotochemie, im Eimer statt im Entwicklungstank. Dies, und das nur selten fabrikneue Filmmaterial, ergeben die bekannten Farbverschiebungen und Schlieren, die Verklebungen und Auflösungen, Kratzer und das grobe Korn, das Aufflackern des Bildes aus dem Weiß, alles Spuren und eindeutige Zeichen der Handarbeit und des "analogen" (wie es jetzt so bescheuert heißt) Filmmaterials. Das vermittelt einem das wohltuende Gefühl, der Konkurrenz der hochauflösenden Kameras und dem Zwang zum Digitalen und der glattgebügelten Realität zu entkommen, um sich stattdessen ganz bewusst ins Licht führen zu lassen, nämlich in die Welt der Lichtbildnerei.

Alles Weitere sind Anekdoten und Behauptungen, und die beherrscht Jan auch ganz gut. Er ist Geschichtenerzähler. Das Erzählen erzeugt seine eigenen Wahrheiten und auch hier sind wir befreit vom bitteren Ernst des Dokumentarischen und vom Zeigefinger des Moralischen.

Alles in allem finde ich also nichts auszusetzen, und obwohl ich "Eigentlich eigentlich Januar" noch gar nicht gesehen habe, weiß ich jetzt schon, dass ich es nicht bereuen werde.

Noch bevor er die Serie der Monats-Filme begann – der Januar ist sein dritter, denn sein Jahr fängt im November an – kam Jan Peters bereits auf die Serie der Geburtstagsfilme. Anlass war ein Kamera- und Tontests an seinem 24. Geburtstag: Eine 3-Minuten-Super-8-Kassette, geopfert für eine Lebensbilanz ("Ich bin 24", 1990), und seitdem jährlich immer wieder drei Minuten, und sofern ich das richtig erinnere, (fast) immer in einer Einstellung ohne Punkt und Komma. Aber auch das hatte, jedenfalls am Anfang, einen technischen Grund: Der von Kodak bereits mit Magnettonspur versehene Super-8-Film, mit dem Jan seinen Kameratest durchführte, lässt sich, nimmt man beim Filmen den Ton darauf auf, wegen des Ton-Bild-Versatzes nicht mehr sinnvoll schneiden. Und daraus entstand ein Stil. Denn die Geburtstagsfilmübung hat Jan konsequent über dreißig Jahre durchgehalten. 2019 schließlich erblickte ein aus 30 Jahren Geburtstag bestehender abendfüllender 90-Minuten-Film (als digitalisierte Kompilation) das Licht der Leinwände: "30 Jahre, aber den Sinn des Lebens habe ich immer noch nicht herausgefunden", heißt er. In Hannover war er noch nicht zu sehen.

Peter Hoffmann (anlässlich der Aufführung von Jan Peters' neuem Film "Eigentlich eigentlich Januar" im Kino im Sprengel am Freitag, den 13. dieses Monats - natürlich Januar)

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Fußnote 1 : Werner Nekes errechnete für seinen Film "Bogen" (eine Endlosschleife von 1 Minute Länge, von 1967) - eine Beziehung herstellend zwischen den 24 Stunden eines Tages und den 24 Bildern einer Filmsekunde: 1 Tag = 24 Stunden à 60 Min. = 1.440 Minuten; 1 Filmsekunde = 24 Bilder; 1 Filmminute = 1.440 Bilder. Er nahm pro Minute ein Bildkader auf und das ergab in 24 Stunden genau eine Minute Film.

Fußnote 2 : Gern zitiert von Jean-Luc Godard, und u.a. auch von Gilles Deleuzes in seinem Buch "Das Zeit-Bild" (1996).

Fußnote 3 : Zu Beginn seines 6-Stunden-Films "Babel" (B, 1991) steht Boris Lehman vor der Kamera, erklärt sein Vorhaben und geht dann aus dem Bild, damit die Kamera ungestört filmen und mit dem begonnenen Film vertraut werden kann. Die Filmrolle darf in der Kamera bis zum Ende durchlaufen, auch wenn Boris Lehman nichts mehr zu sagen hat. (Und plötzlich kommen andere Leute ins Bild und schauen ins Objektiv, als wäre darin etwas versteckt.)