Heute Abstand, damals Gedränge
Rückblick auf die Nordstadt Filmtage (1988 – 1999)
„Kleiner Aufwand, große Wirkung“ kann man nur bedingt sagen, denn der Aufwand war doch recht groß. Ab den 5. Nordstadt Filmtagen (1993) war ich selbst an der Organisation beteiligt. Die Filmtage fanden da bereits nicht mehr jährlich, sondern nur noch alle zwei Jahre statt. Da wurden sie von vielen schon schmerzlich vermisst in der langen Zwischenzeit. Aber der Aufwand war einfach zu groß. Tatsächlich hatte eine Kerngruppe ein ganzes Jahr damit zu tun. Und nebenher sollte auch das inzwischen ‚neu gebaute‘ Kino im Sprengel noch laufen.
Aber groß war die Wirkung tatsächlich, das Stadtteilzentrum Nordstadt platzte fast aus den Nähten. Es macht Spaß, auf den Fotos die prall gefüllten Flure und Treppenhäuser der ‚Bürgerschule’ zu sehen, die noch nicht durch Feuerschutz-Zwischentüren segmentiert war. Es gab den sogenannten Counter. Ich wusste nicht, was das bedeutete, hörte aber heraus, dass die Anderen schon Festivalerfahrung hatten. Der Counter war für sie sozusagen das Herzstück des Festivals. Es war ein kleiner Tresen, an dem die Eintrittskarten verkauft und die Karten für den Publikums-Poll ausgegeben wurden. Was war das schon wieder? Ich kannte auch dieses Wort nicht. Es waren die Stimmzettel zur Ermittlung der Lieblingsfilme, die am Sonntagabend noch einmal gezeigt wurden. Das war der einzige Preis, den man als Filmemacher*in auf den Nordstadt Filmtagen gewinnen konnte.
Über drei, später vier Tage gingen die Filmtage. Oben im Tanzsaal saß man auf Holzbänken oder auf dem Boden, hörte das Rattern der Projektoren und war gespannt, was man alles zu sehen bekäme. Die Stirnwand war als Leinwand vorher noch einmal weiß getüncht worden. Die Programmblöcke wurden im Wechsel anmoderiert und für den schon erwähnten Publikumsblock am letzten Abend wurde ein Star von außen gesucht. In einem Jahr war dies – allen unvergesslich – Jens Graas-Pfeiffer alias Manfred Krug. Er wurde daraufhin Ehrenmitglied der Film & Video Cooperative.
Die Erwartungen des Publikums waren dem Gebotenen angemessen. Es verlangte nicht nach Hochglanzproduktionen, sondern sah sich mit Interesse an, was vor Ort und ohne Geld an – meist kurzen – Filmen entstanden war. Das war alles sehr unterschiedlich und ergab zusammen doch ein stimmiges Bild der verschiedenen Tendenzen und Gruppen, die alle irgendwie dazugehörten. Es war die Zeit des Super-8-Formats, der VHS-Bänder und auch der 16mm-Filme, die schon eine professionellere Beschäftigung mit dem Film verrieten. Die meisten davon kamen von außerhalb und waren in den Programmblöcken „Filme aus anderen Metropolen“ zu sehen, und sie gaben tatsächlich noch mehr eine Zielrichtung vor.
Die Nordstadt Filmtage boten zusätzlich Programme zur Hannoverschen Filmgeschichte, Programme zum Experimentalfilm und hochkarätige Expanded-Cinema-Auftritte. Unter den auswärtigen Gästen fand sich regelmäßig der Filmjournalist Bodo Schönfelder aus Göttingen. Er hielt die Nordstadt Filmtage für interessanter als manches der etablierten Festivals.
Die ‚Bürgerschule’, legale Insel auf dem schon freigekämpften Sprengelgelände, war der ideale Ort für das Festival. Eine öffentliche Förderung war allerdings vonnöten. Sie kam vom MWK (Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kultur) und deckte Programmdruck, Geräteausleihen, Raummieten, Filmversand, Porto- und Telefonkosten. Außerdem gab es eine ABM-Stelle – die sich teilweise zwei Leute teilten.
Als solche geförderten Stellen vom Arbeitsamt nicht mehr ausgeschrieben wurden und außerdem die Kräfte der Aktiven zunehmend vom Kino im Sprengel gebunden wurden, war Schluss mit den Nordstadt Filmtagen. Ohnehin wären sie als umsatzschwaches Festival bei der Evaluation niedersächsischer Festivals durch die neugegründete Filmfördergesellschaft Nordmedia als nicht förderungswürdig unter den Tisch gefallen.
Eine entscheidende Wirkung des Festivals war, dass in Hannover mehr Filme gedreht wurden. Die Nordstadt Filmtage gaben einen echten Impuls, weil man sich eben darauf verlassen konnte, dass die Filme, die man machte, auch gezeigt wurden. Wo gab es das sonst?
Tatsächlich verlor sich nach 1999 in Hannover so etwas wie eine Filmszene. Einzelne blieben übrig. Das Kino im Sprengel veranstaltete zwar 2003 und 2005 noch zweimal - als schwachen Ersatz für die Nordstadt Filmtage - die sogenannten ‚Heimspieltage’, aber auch diese versiegten.
Peter Hoffmann, 5.2.2018 (überarbeitet 24.4.2020)
Der Text wurde für die Jubiläumsausgabe des "Rundbriefs" des Film & Medienbüros Niedersachsen verfasst, dort aber aus Platzgründen nicht veröffentlicht.